Cowboys, Ghosts and Aliens
Interview mit dem Editor Kaya Inan - Gewinner des Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm 2016 für Above and Below (Regie: Nicolas Steiner)
ABOVE AND BELOW verbindet sehr eindrückliche Bilder verschiedener ungewöhnlicher Lebenswelten an „abandoned places“ unter der Erde, in der Wüste und in einer Mars-Simulation. Wie hast Du in Deiner Montage die Dramaturgie jenseits der bloßen Bildmacht erschaffen? Denn all die Lebenswelten sind ja mit ganz konkreten Menschen und deren Geschichten verknüpft...
Kaya Inan: Ich habe mich mit Nicolas Steiner, dem Regisseur, langsam ans Material von ABOVE AND BELOW herangetastet. Für uns war von Anfang an klar, dass die Menschen und ihre Geschichten im Zentrum des Films stehen würden, deshalb haben wir zuerst die Geschichten jedes einzelnen Protagonisten im Material gesucht und montiert. Man muss unbedingt erwähnen, dass sich schon während der Dreharbeiten die Erzählbögen im Groben herauskristallisiert haben. So konnten wir uns im Schneideraum an den Erfahrungen der Dreharbeiten orientieren. Bei diesem zeitintensiven Arbeitsschritt haben wir unser Material und unsere Protagonisten sehr gut kennengelernt. Danach haben wir angefangen, diese vier Erzählstränge zu vermischen, indem wir formale und inhaltliche Verbindungen zwischen diesen, auf den ersten Blick, völlig unterschiedlichen Welten suchten. Ein sehr wichtiger Wegweiser beim Aufbau der Gesamtstruktur für "Above and Below” liegt im Konzept von Nicolas Steiner: "Vom Mars. Zur Erde. Unter die Oberfläche." Mit dieser Idee im Hinterkopf haben wir den Anfang des Films bewusst wie eine Art von Sci-Fi-Film gestaltet, um so eine Spannung für die Erzählung zu erzeugen und unsere Protagonisten und ihren Lebensraum mit einer gewissen Zweideutigkeit aufzuladen.
Zudem sind Nicolas während der Recherche vor Ort immer wieder drei Begriffe begegnet: "Cowboys, Ghosts and Aliens". Diese drei sehr aufgeladenen Bezeichnungen haben uns bei der Zeichnung unserer Protagonisten geholfen.
Generell überwiegen in der ersten Hälfte des Films die formalen Verbindungen. Je länger der Film dauert, desto näher kommen wir unseren Protagonisten, was dazu führt, dass wir vermehrt auf inhaltlicher und emotionaler Ebene Verbindungen zwischen den Welten geschaffen haben.
Die "abandoned places" sind eine wichtige visuelle Ebene in ABOVE AND BELOW, die eigentlich fast so etwas wie der Ursprung für Nicolas’ Idee für diesen Film waren. Inspiriert von einem Fotoprojekt über Ghosttowns hat er sich auf den Weg in die Wüste gemacht und hat unsere Helden gefunden. Im fertigen Film helfen uns die Bilder von den "abandoned places" die apokalyptische Stimmung zu schaffen. Im Verlauf des Film werden die diese Orte zu einer Art Reflektionsfläche für die emotionalen Zustände unserer Protagonisten.
Die Protagonisten des Films hätte man leicht klischiert darstellen können – Obdachlose mit Drogenproblemen, traumatisierte Kriegsveteranen etc. Gerade das aber wird durch einen sensiblen Schnitt vermieden, wir begegnen allen Protagonisten auf Augenhöhe, gleichzeitig kreiert die Montage eine durchaus rätselhafte Ebene und lässt allen ihr Geheimnis. Wie ist dieser Balanceakt gelungen, gegen welches Material hast Du Dich vielleicht bewusst entschieden, welches Konzept für die Figurenführung gehabt?
Kaya Inan: Wir haben uns von Anfang an entschieden, uns unseren Protagonisten langsam und behutsam zu nähern. Wir wollten zuerst ihren Lebensraum kennenlernen und beobachten, wie sie ihren Alltag meistern. Ihre persönlichen Geschichten sind für uns der Höhepunkt des Films. Man kann unsere Dramaturgie fast schon als eine spiralartige Bewegung ins Zentrum beschreiben.
Wir haben bewusst darauf verzichtet, konkrete und klare Antworten darauf zu geben, wieso unsere Protagonisten sich entschieden haben, an diesen sehr ungewöhnlichen Orten zu leben. Unser Ziel war es viel mehr, ihnen ohne Vorurteile zu begegnen.
Zudem war uns von Anfang and klar, dass ABOVE AND BELOW ein filmisches Erlebnis werden soll. Wir haben versucht, die Erfahrungen, die Nicolas vor Ort gemacht hat, im Schneideraum mit allen filmischen Mitteln spürbar und erlebbar zu machen. Diese Entscheidung war zentral bei der Arbeit im Schneideraum.
Besonders ist auch die Verbindung von Bild und Ton – wie hat das Zusammenspiel der Gewerke funktioniert und inwieweit hat Deine Montage den Ton bewusst als dramaturgisches und atmosphärisches Mittel eingebunden?
Kaya Inan: Die Tongestaltung und die Musik sind in Nicolas Steiners Filmen immer sehr gut ausgearbeitet, weil er sehr viel Wert auf eine gute Tonebene in seinen Filmen legt. Wir haben schon sehr früh (bereits vor dem Dreh) mit den Musikern von PARADOX PARADISE (John Gürtler, Jan Miserre und Lars Voges) zusammengearbeitet. Nach dem Sichten des Materials habe ich mehrere Rohmaterial-Sequenzen aus den "abandoned places" zusammengestellt und den Musikern als Inspiration zur Verfügung gestellt. Zudem haben wir ihnen Atmos aus den Tunnels und der Wüste gegeben, die sie auch für gewisse Kompositionen verwendet haben. Ein ganz konkretes Geräusch, das sehr markant ist, sind die Gullideckel, wenn ein Auto darüber fährt. Nicolas hat dieses Geräusch als eine Art Herzschlag der Tunnels beschrieben und hat sich gewünscht, dass dieses Geräusch mit in eine Komposition einfließt. Viele dieser audiovisuellen Erkenntnisse passieren intuitiv und bereits nach der ersten Recherche, also noch lange vor den Dreharbeiten.
Hinzu kommt, dass mehrere Protagonisten Instrumente im Film spielen oder rhythmische Geräusche machen wie Ping Pong oder Soundtubes. Wir wollten, dass diese Musik und diese Geräusche mit den Kompositionen von PARADOX PARADISE zusammenfließen und eine Einheit bilden.
Du warst sehr früh und auf zahlreichen Ebenen Teil des Teams – wie war der Entstehungshintergrund des Films und welchen zeitlichen Rahmen hat dann der Montageprozess eingenommen?
Kaya Inan: Mit Nicolas Steiner verbindet mich eine tiefe Freundschaft, die über die gemeinsame Passion für Filme hinausgeht und sich schon vor unserer gemeinsamen Studienzeit an der Filmakademie Baden-Württemberg etabliert hatte. Deshalb war ich als Freund und Teammitglied von Anfang an in die Entwicklung von Nicolas’ Diplomfilm ABOVE AND BELOW involviert, als eine Art Dialogpartner. Neben mir war auch der Kameramann Markus Nestroy von Anfang an mit dabei.
Während den zweieinhalbmonatigen Dreharbeiten habe ich als Koch und Allrounder den Dreh unterstützt. Danach habe ich mit Nicolas zusammen netto circa 11 Monate über einen Zeitraum von zwei Jahren an der Montage von ABOVE AND BELOW gearbeitet.
Beim Schnitt-Festival „Filmplus“ hast Du als Nominierter für den Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm Deine Arbeit präsentiert, aber auch Einblicke gewinnen können in die Montageleistungen von Kolleginnen und Kolleginnen in den Editorengesprächen nach den Filmen, den Panels und sicher auch am Rande der Veranstaltungen in vielen privaten Begegnungen. Wie hast Du den Austausch bei diesem Festival erlebt und was bedeutet der Gewinn des Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm für Dich?
Kaya Inan: Die vier Tage Filmplus in Köln waren sehr besonders, da es für mich in jeder Hinsicht eine Premiere war. Ich habe mich von der ersten Minute an sehr wohl gefühlt, weil das Festival eine sehr intime und entspannte Atmosphäre hat. Man kommt ganz leicht mit anderen Editoren ins Gespräch und kann sich so ausführlich über den Alltag im Schneideraum austauschen. Filmplus war definitiv ein persönliches Festival-Highlight.
Ich bin sehr glücklich, den Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm erhalten zu haben. Es ist für mich eine große Ehre, da dieser Preis sozusagen ein Preis der Schnittgilde ist, also ein Preis von Editoren für Editoren und das ist einfach sehr schön und bedeutet mir sehr viel.
Interview: Kyra Scheurer