Verdichtete Angst
Ein Interview mit der Editorin Anna Grenzfurthner, Gewinnerin des ARRI Media Förderpreis Schnitt 2016 für Wartezeit (Regie: Clara Stern).
In Wartezeit transportiert der Schnitt die Angst der Protagonistin und macht sie für den Zuschauer erlebbar. Der Film ist kaum mehr als eine Szene, reduziert aufs Wesentliche und von beeindruckender Intensität. Er zeigt eine junge Frau, die auf ihrem nächtlichen Heimweg acht Minuten Wartezeit auf den nächsten Bus mit einem zwielichtigen Mann teilen muss. Wie sah das Material aus und wie bist du damit im Schnitt umgegangen?
Anna Grenzfurthner: Ich hatte den großen Luxus, mit Material zu arbeiten, das viele Möglichkeiten in sich barg. Sowohl Regisseurin Clara Stern, als auch Kameramann Johannes Höß haben sich bereits vor dem Dreh und am Set einige Gedanken zur Auflösung gemacht und trotzdem für den Schnitt viel Spielraum gelassen. Davon kann man als Editorin nur träumen. Zuerst haben wir anhand des ursprünglich erstellten Storyboards geschnitten und ausprobiert, wie der Film auf uns wirkt. Danach haben wir doch einige Male die Perspektive gewechselt, Einstellungen mal länger, mal kürzer stehen gelassen, viel ausprobiert, viel gemeinsam besprochen. Es war ein schöner Prozess und es freut mich, dass auch das Ergebnis stimmt.
Als Zuschauer sind wir immer bei der Protagonistin. Gab es auch Aufnahmen des Mannes, gegen die du dich aus dramaturgischen Gründen entschieden hast?
Anna Grenzfurthner: Es gab ein paar Aufnahmen, in denen der Mann in die Schärfe gekommen ist und wir als Zusehende mehr hätten wahrnehmen können. Das war jedoch so nicht vorgesehen. Mir ist wichtig, bei der Montage nochmal das ursprüngliche Konzept zu testen, im Zweifel auch über Bord zu werfen, wenn es dem Film guttut. Im Fall von Wartezeit haben wir festgestellt, dass das Konzept stimmt und es wichtig und richtig ist, dem Mann vorerst kein Gesicht zu geben. Unsere Protagonistin kann und will den Mann nicht ansehen, somit soll es auch der Zuseher nicht können.
Wegen der erzählerischen wie inszenatorischen Konzentriertheit des Films ist jede einzelne Schneideraum-Entscheidung von enormer Bedeutung für die Gesamtwirkung des Films gewesen …
Anna Grenzfurthner: Es gab immer wieder Entscheidungen, die in der Montage gefällt wurden. Etwa, wie lange eine Einstellung stehen darf, oder welche Einstellung beim Einfahren des Busses verwendet wird. Ich fand es beispielsweise sehr wichtig, dass sich die Protagonistin gegen Ende nochmals durch den engen Raum zwischen Bus und Mann zwängen musste. Clara war eine tolle Partnerin bei dieser Entscheidungsfindung. Einerseits hat sie stets gewusst, was sie wollte, gleichzeitig aber genug Raum für Optionen gelassen, um das ganze Potenzial des Filmes auszuschöpfen.
Der Film beginnt mit einer langen Plansequenz, in der die Protagonistin eine Wohnung verlässt. Könntest du die Bedeutung dieser dem Filmtitel vorangestellten Szene für den Gesamtfilm erläutern?
Anna Grenzfurthner: Der lange Weg der Protagonistin aus der Wohnung und auf die Straße mag zu Beginn etwas irritieren, weil er doch so lange dauert. Wir haben einige Varianten ausprobiert, um hier den richtigen Auftakt für den Schnittrhythmus zu finden, haben zu Beginn versucht, auf eine andere Einstellung umzuschneiden und sind schlussendlich mit dem langen Gang sehr zufrieden. Er ermöglicht die eine oder andere längere Einstellung, die später auf uns zukommt, und ist zugleich stimmungsweisend für den Film.
Ich hatte den Eindruck, dass der Schnitt die Protagonistin mit seiner Einstellungsabfolge geradezu umkreist, genau wie der unbekannte Mann es tut.
Anna Grenzfurthner: Es ging uns darum, ein beklemmendes Gefühl zu erzeugen. Es war uns wichtig, dass die Zuseherinnen und Zuseher mit der Protagonistin durch den Film gehen und einerseits ihren Blickwinkel einnehmen, gleichzeitig aber auch jene Stellen besonders spüren, an denen der Mann ihr gerade besonders nahe kommt. Es gibt eine nahe Einstellung auf den Nacken der Protagonistin, bei der mir immer noch ein kalter Schauer über den Rücken läuft, wenn ich sie sehe – und das ist gut so.
Welche Rolle spielte das Sounddesign für deine Arbeit?
Anna Grenzfurthner: Sounddesign ist ein großes Steckenpferd von Clara, Johannes und mir. Es war uns von Anfang an wichtig, damit die richtigen Akzente zu setzen, die Montage damit noch mehr „leben“ zu lassen und auch die Momente der Beklemmung hervorzuheben. Die subjektive Wahrnehmung durch die Protagonistin wird hier durch Geräusche und Atmosphären, die im normalen Leben übertrieben wirken, betont. Da die Protagonistin nicht hinsehen kann, bekommt jedes einzelne Geräusch mehr Bedeutung und ist ihr einziger Orientierungspunkt. Bei der Montage haben wir bereits mit vielen Geräuschen und Atmos gearbeitet, um feststellen zu können, wie lange eine Einstellung stehen darf. Die finale Arbeit am Sounddesign begann dann aber traditionell erst nach Ende der Montagearbeit.
Du hast
bereits Nachrichten für den ORF geschnitten und warst
Schnittassistentin für Ulrich Seidl. Inwiefern haben diese sehr
verschiedenen Erfahrungen deine Arbeit an Wartezeit
geprägt?
Anna Grenzfurthner: Ich bin nun mittlerweile seit über sieben Jahren im Bereich Schnitt tätig und durfte Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen sammeln. Von unterschiedlichen Assistenztätigkeiten, über Nachrichten, Kunstfilme, Werbung, Musikvideos und Kurzfilme war da schon viel dabei und jede Erfahrung hat mich bereichert. In jeder Tätigkeit konnte ich Neues lernen – mal lernt man Handwerkliches, mal über die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Regisseurinnen und Regisseuren und deren Arbeitsweisen, mal über die brancheninterne Kommunikation, mal wie einfach und schön es sein kann, wenn einfach alles stimmt – so wie bei der Arbeit an Wartezeit.
Wartezeit feierte bei uns seine Weltpremiere.
Anna Grenzfurthner: Bei Filmplus Premiere feiern zu dürfen und dann auch gleich mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, war natürlich ein absolutes Highlight. Der Film wurde erst kürzlich fertiggestellt und jetzt fühlen wir uns ermutigt und bestärkt, den Film weiter in die Festivalwelt hinauszuschicken und sind gespannt, wohin die Reise führt.
Interview: Pascal Maslon
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Die Jury vergab in der Förderpreis-Sektion außerdem eine lobende Erwähnung an den Film Julian, montiert von Amaury Berger: „Der Film, dessen Montage wir heute mit einer Lobenden Erwähnung würdigen, hat uns tief berührt. Dem unkonventionellen Porträt gelingt die Verdichtung von Fragmenten, die uns in das fragile Universum des Protagonisten eintauchen lässt.“, so die Jury.