Emotion und Intellekt
Ein Interview mit Ursula Höf, der Preisträgerin des Geißendörfer Ehrenpreis Schnitt 2016
Vor
deiner beruflichen Laufbahn hattest du von 1968 bis 1970 ein Studium
der Theaterwissenschaften in Berlin begonnen. Eine aufregende Zeit,
um an einer Universität zu sein, oder?
Ursula Höf: Ja,
aber nicht an der Theaterwissenschaft (lacht). Das war ein sehr
konservatives Institut mit uralten Professoren, die gar nichts von
der Entwicklung draußen mitbekamen. Da halfen auch keine Besetzungen
des Instituts, aber das musste natürlich sein. Und die Aktionen in
der Uni und außerhalb, der Vietnamkongress, der
Sturm auf das Springer-Hochhaus, da war ich natürlich auch dabei.
Politisiert war ich aber schon lange vorher, ich bin mit den
Ostermärschen aufgewachsen. Nicht zuletzt weil meine Eltern
Sozialisten waren.
Wie
hast du deinen Weg in den Schneideraum gefunden?
Nachdem
ich festgestellt hatte, dass das Studium mich nicht weiterbringt,
ging ich in Westberlin auf die Suche nach einem Volontariat im
Filmschnitt und hatte Glück. Ich kam in den Spielfilmschneideraum
von Renate Willeg. In dieser Firma wurden am laufenden Band
Auftragsfilme für den alten Constantin Verleih produziert – Opas
Kino! Es waren schreckliche Filme, schlimme Arbeitsbedingungen, sehr
stressig, eine harte Schule, aber dafür handwerklich sehr
vielfältig. Ich war teilweise, obwohl Volontärin, schon 1.
Assistentin, lernte das Material zu beurteilen, den Umgang mit
Playback, die Vorbereitungen für Rückprojektionsaufnahmen und die
gesamte Vertonungsstrecke: Sprachsynchron, Geräuschsynchron, Atmos
und Effekte Anlegen, Vorbereitung der Musikaufnahmen und der
Mischung.
Originalton
zu verwenden war da noch nicht so üblich. Die gesamte
Postproduktionsplanung lag in den Händen des Schneideraumteams:
inhaltliche und terminliche Absprachen mit dem Kopierwerk, den
Tonstudios, den Geräuschemachern, Komponisten, dem Synchronregisseur
und dem Mischmeister. Von diesem ersten Jahr habe ich immer
profitiert, auch weil ich hier lernen musste, mich vor zu viel Stress
und Druck zu schützen.
Wie
hast du dann den Schritt hin zu den Jungfilmern des Neuen Deutschen
Films gemacht?
1973
kam ich als Assistentin zu Siegrun Jäger. Sie hatte den Ruf der
„Besonderen“, arbeitete immer wieder mit Peter Lilienthal und dem
Neuen Deutschen Film und seinen Autoren. Wir
haben mehr als zwei Jahre zusammengearbeitet und sie hat mir dann bei
dem Übergang zum Schnitt sehr geholfen. Auch sie hat in allen Genres
gearbeitet, und ich habe gelernt, wie wichtig das ist, und habe
versucht, es immer beizubehalten. Eine Assistentin hat damals
vorwiegend im gleichen Schneideraum gearbeitet wie die Filmeditorin
und natürlich alle Diskussionen mit der Regie mitbekommen, sie war
häufig erstes Publikum und Gesprächspartnerin. Das war die
Ausbildung. Von Susi Jäger habe ich aber auch die wichtigste Haltung
zur Arbeit gelernt, den Anspruch, immer das Beste zu wollen, nicht
aufzugeben, aber immer offen zu sein für alle künstlerischen
Ausdrucksmittel.
Dein
erster alleinverantwortlich montierter Kinofilm war Helke Sanders Die
allseitig reduzierte Persönlichkeit – ReduPers, wie habt ihr euch
kennengelernt?
Helke
Sander habe ich 1971 in der Frauenbewegung kennengelernt und dadurch,
dass wir drei Jahre im gleichen Haus gewohnt haben. Ich hatte schon
ein paar Filme geschnitten, als sie mich 1977 fragte, ob
ich ReduPers übernehmen
wollte. Es war ein wunderbares Experiment, wir fanden uns im gleichen
Humor und in der gleichen Experimentierfreude. Ich habe Helke immer
bewundert für ihre künstlerische Kompromisslosigkeit und dass sie
keine Angst hatte, gegen alle Widerstände die ihr wichtigen Fragen
zu stellen.
ReduPers war
wirklich eine tolle Erfahrung. Es gab ein Drehbuch und sie hatte sehr
viele einzelne Szenen gedreht, aber wenn ich mich richtig erinnere,
war ein Off-Text zwar geplant, aber noch nicht geschrieben zum Beginn
des Schneidens. Es gab sehr viele halbdokumentarische Szenen, etwa
das Gespräch der Fotografinnengruppe. Wir mussten lange an einer
sinnvollen Abfolge der Szenen arbeiten, haben sehr viel probiert. Es
war eine sehr spannende Arbeit!
Das
glaube ich sofort. Ich erinnere mich beispielsweise an diesen langen
Schwenk über die Berliner Mauer und plötzlich schallt laut die
Musik von Beethoven aus den Boxen, das warst du, oder?
Ja!
Meine Lieblingsmusik (lacht)! Beethovens „Phantasie für Chor und
Orchester“ habe ich in dieser Zeit rauf und runter gehört. Und
diese Wucht passte einfach zu dieser absurden Aussichtsplattform. Der
Schwenk gehörte mit zu den Fahrten entlang der Straßen, allein das
macht ja heute den Film schon sehenswert. ReduPers feierte
beim Berlinale-Forum seine Premiere, eine richtig große Premiere im
Atelier am Zoo und kam sehr gut an. Die Leute haben den Humor
verstanden. Und er gilt bis heute als einer der klassischen
Frauenfilme jener Zeit und ich denke, die Leute verstehen den Humor
heute immer noch. Genauso wie sie die Nöte der Hauptfigur
nachvollziehen können, die weiterhin sehr aktuell sind.
Du
hast dann in den weiteren Jahren sehr unterschiedliche Filme
montiert, Spielfilme, Dokumentarfilme, Mischformen und
Experimentelles…
Ich
mag es, verschiedene Filmformen zu schneiden. Nach einem
Dokumentarfilm setze ich mich gerne an einen Spielfilm und fühle
mich dann befreiter. Wenn ich nur Spielfilme schneide, bin ich
schnell fixiert auf gewisse Gesetzmäßigkeiten. Wenn ich bemerke,
dass ich Schnitte aus Routine mache, dann weiß ich, dass ich ein
andersartiges Projekt als nächstes brauche. Das Problem ist, das
musst du dir leisten können! Du musst einen Lebensstandard haben,
der dir erlaubt, Wartezeiten zu überbrücken. Darauf habe ich immer
geachtet. Ich konnte es mir erlauben, weil ich immer günstig gewohnt
habe und keine Familie haben wollte. Aber es gibt natürlich viele,
die können sich das nicht erlauben. Wenn man an junge
Filmeditorinnen in ihren 30er oder 40ern denkt, die sind genau dann
in einem Alter wo es beruflich einfach flutschen muss, und Kinder und
Familie lassen sich damit oft nicht vereinbaren.
Dokumentarfilme
sind in der Montage zumeist viel arbeitsintensiver als Spielfilme,
kann man sich als Filmeditorin aufwendige Kinodokumentarfilme
eigentlich auf die Dauer „leisten“?
Die
Schnittarbeit an Dokumentarfilmen müsste natürlich viel besser
vergütet werden. Heidi Specogna hat immer darauf bestanden, dass sie
bei ihren Filme immer genug Zeit für die Montage hatte. Das kann man
mit Filmförderung zuweilen realisieren, beim Fernsehen ist es häufig
einfach unmöglich, denn man muss in kurzer Zeit unglaublich viel
machen. Bei Heidi aber hatte ich immer die nötige Zeit. Und die
Arbeit an Dokumentarfilmen ist großartig und gleichzeitig auf
vielerlei Arten herausfordernd: Beim Spielfilm wird man häufiger
illusionistische Schnitte machen, die man nicht sehen soll,
wohingegen es beim Dokumentarfilm oft eine Forderung ist, dass der
Schnitt durchaus sehr sichtbar sein soll. Dokumentarfilme zu
schneiden ist sehr viel anstrengender, verlangt mehr Einsatz an
Allem, an Emotion und dramaturgischem Können und an
Kritikbereitschaft. Immer wieder muss man sich überprüfen: Stimmt
das, was ich mir hier ausdenke? Man kann mit der Regie reden oder
sogar mit privaten Freunden, aber dieser ständige kritische Blick
auf sich selbst und die Arbeit, das kostet Kraft, das kostet richtig
Kraft. Man muss als Filmeditorin
gleichzeitig intellektuelle Distanz ermöglichen und emotionale
Momente finden, um den Zuschauer anzusprechen. Aber das ist es eben,
was mich bei diesem Beruf so glücklich macht.
Deshalb war es mir
wichtig, diese Freiheit zu behalten und unterschiedliche Arten von
Filmen zu machen, die mich immer wieder neu herausforderten. Als ich
1985 nach Hamburg übersiedelte, bin ich sehr schnell mit vielen
Filmleuten im Hamburger Filmbüro zusammengekommen, die all das
bereithielten, was ich so gerne tat: in allen Genres arbeiten,
unkonventionell, immer wieder neu. Zum Beispiel die Trickfilme von
Franz Winzentsen, die Dokumentarfilme von Christian Bau und der
„Thede“ und natürlich die anspruchsvollen Filme von Rolf
Schübel.
Mit
ihm hast du 1999 Gloomy Sunday fertiggestellt, eine der
größeren Kinoproduktionen in deiner Karriere. Welche Möglichkeiten
hat man bei einem solchen Projekt in der Montage?
Viele,
sehr viele! Die ursprüngliche Konzeption war ja anders, als der Film
dann geworden ist. Und ich hatte schon sehr viel Layoutmusik und habe
damit probieren können. Ich glaube, ich war insgesamt circa acht
Monate damit beschäftigt. Vom Schauen der Muster bis hin zum
Mischungsende. Das Sichten des Materials dauerte allein vier bis
sechs Wochen, glücklicherweise hatten wir dabei die Möglichkeit,
das alles in einem Kino zu sehen. Auch eine sehr wichtige Erfahrung:
Die Wirkung der großen Bilder so zu erleben und nicht nur auf einem
kleinen Monitor. Sechs Wochen hatte ich für die Vertonung, vier
Wochen dauerte die Mischung, zehn Tage waren allein für die
Geräuschsynchronisation da. Bei Blueprint (2003)
war es sogar noch länger. Auf jeden Fall hatten wir die Zeit, viele
Dinge auszuprobieren. Und wir haben sehr viel ausprobiert!
Haben
auch Filmschnitt-Studenten in ihrer Ausbildung genug Möglichkeiten,
sich auszuprobieren?
Ich
denke ja. Es gibt jetzt inzwischen wirklich gute
Ausbildungsmöglichkeiten für Filmmontage in Deutschland, alle drei
Studiengänge sind toll. Natürlich muss man nicht unbedingt über
ein Studium zur Montage gehen, aber es ist unglaublich gut, diese
drei Studiengänge in Deutschland zu haben.
Das
es heute an der ifs – internationale filmschule köln einen
Studiengang „Editing Bild und Ton“ gibt, geht maßgeblich auf
deine Initiative zurück?
Ich
hatte damals gelesen, dass die ifs erweitert werden sollte um einen
Studiengang für Kamera und fand
schade, dass es keine Planungen für Montage gab. Da habe ich mich
hingesetzt und ein Konzept für einen Studiengang Filmschnitt
geschrieben und dann Dieter Kosslick angerufen, der damals
Geschäftsführer der Filmstiftung NRW war. Ich fragte ihn, ob sie
nicht besser Filmschnitt aufnehmen
sollten und er sagte nur: „Hast eigentlich recht, schreib mir mal
was auf“ (lacht). Und ich konnte natürlich sofort sagen, dass ich
das schon getan habe. Ich sprach den BFS an und zusammen haben wir
dann dieses Konzept eingereicht. Es hat zwei Jahre gedauert, in denen
die Filmschule erweitert wurde, aber dann konnten wir zunächst einen
halbjährigen Weiterbildungskurs entwickeln. Das ging sehr gut, sehr
erfolgreich, bis sich spüren ließ, dass ein Studiengang notwendiger
wäre. Es gab die Assistenten nicht mehr wie früher, mehr technische
Anforderungen und die Ausbildungen mussten „schulischer“ werden.
Es war auch die Zeit, in der sich die Trennung von Bild- und
Tonschnitt immer stärker vollzog. Ich selber war darüber sehr
traurig, weil ich die Vertonung immer als Teil meiner Arbeit sehr
gerne gemacht habe. Und uns war sehr wichtig, dass das Erzählen mit
Ton ein starkes dramaturgisches Element beim Film ist. Und dass
deshalb auch die Soundeditoren eine dramaturgische Ausbildung haben
sollten. Deshalb haben wir, Barbara Hennings und ich, dann gemeinsam
mit Su Nicholls-Gärtner diesen Parallelstudiengang erarbeitet.
Vermutlich
ist es nicht immer so einfach, Dinge in der Filmpolitik zu bewegen?
Die
Kämpfe sind immer die gleichen. Es gibt auf der einen Seite die
Bedürfnisse der künstlerischen Macher und auf der anderen die der
Wirtschaft. Und da das Filmförderungsgesetz ein Wirtschaftsgesetz
ist, ursprünglich, finden natürlich die Bedürfnisse der
Wirtschaftsvertreter besondere Aufmerksamkeit. Das Denken ist: Alles
was wirtschaftlich erfolgreich ist, muss gut sein, weil man den
Erfolg messen kann. Kultur ist anders, sie ist nicht messbar, und es
ist ganz schwer zu vermitteln, worin hier Erfolg liegt. Da bedarf es
kluger und weitsichtiger Leute in der Politik, die begreifen, dass in
diesem Sektor Inhalte und Ausdrucksformen und auch Experimente
wichtig sind.
Als
Gewerkschafterin hast du auch aktiv Gesetzgebungen mitgestalten
können, etwa in deiner Funktion als Verwaltungsrat-Mitglied bei der
FFA?
Insgesamt
war ich 38 Jahre in der Gewerkschaft aktiv und habe mich unter
anderem in der Tarif- und Berufspolitik engagiert. Für
die Rundfunk-Fernseh-Film-Union war ich seit den 1970er
Jahren im Verwaltungsrat der FFA und damit immer auch beteiligt an
der Weiterentwicklung des Filmförderungsgesetzes. Damals
hatte die RFFU auch noch einen Sitz in der Vergabekommission, den ich
dann auch eine Weile innehatte. Sehr zum Erstaunen der
Filmjournalisten übrigens, die immer dachten, da sitzt halt so´n
Gewerkschaftsfunktionär und nicht eine „Kreative“. Heute gibt es
eine große Gruppe der „Kreativen“ darin, aber die Vertretung der
Film- und Kinoschaffenden war immer eine Minderheitenposition. Später
habe ich mal ausgesetzt, aber seit Ende der Neunziger bis Anfang 2014
war ich dann wieder die Gewerkschaftsvertreterin. Solange ich im
Verwaltungsrat und auch in der Vergabekommission war, war ich immer
eine der wenigen Frauen, das hat sich bisher auch noch nicht
geändert.
Wie
beurteilst du die Geschlechterverteilung in der aktuellen
Filmschnitt-Landschaft?
Mein
Eindruck ist, dass durch die Digitalisierung wieder verstärkt Männer
in den Beruf gekommen sind und dass sie häufig
mehr Aufmerksamkeit bekommen, wie damals in den 1970ern, als Peter
Przygodda als der „Star“ und als der einzig Erwähnenswerte galt
.Gleichzeitig gab es drum herum ganz viele Frauen, die große
Meisterinnen ihres Fachs waren, da denke ich beispielsweise an
Filmeditorinnen wie Sigrun Jäger oder Dagmar Hirtz oder Maximiliane
Mainka usw. Vielleicht entsteht dieser Eindruck, weil Editorinnen
sich nicht so sehr in den Vordergrund stellen und die Trommel
schlagen. Die Frauen, ebenso wie der Beruf, verdienen nach wie vor
mehr Aufmerksamkeit als sie erhalten. Filmplus ist da eine rühmliche
Ausnahme!
Interview: Werner Busch