Wie ein wildgewordener Gaul
Ein Gespräch mit dem Gewinner des Filmstiftung NRW
Schnitt Preis Spielfilm 2016, Vincent Assmann, ausgezeichnet für die Montage
von Heil, Regie: Dietrich Brüggemann
Was war im Schnitt nötig, um bei der Menge an Figuren und Erzählsträngen trotzdem jederzeit zu wissen, wo man sich befindet?
Vincent Assmann: Im Drehbuch funktionierte diese Balance von rasantem Chaos und Durchblick sehr gut, aber im Film ist ja dann immer alles ein bisschen anders. Manchmal war es besser, einem Erzählstrang etwas länger zu folgen und Handlungsblöcke zusammenzulegen, um da Klarheit reinzubringen oder ein bestimmtes Gefühl aufzubauen, und dann wieder war es besser, Szenen zu trennen oder zu verschachteln, um wieder Chaos zu stiften und Tempo zu machen. Wir haben relativ lange damit verbracht, Szenen und Blöcke herumzuschieben (sicherlich länger als bei KREUZWEG), um dieses Gefühl hinzubekommen, dass man zu jedem Zeitpunkt glaubt zu verstehen, was bei den Figuren los ist und gerade so mitkommt. Wobei es tatsächlich reicht, dass man den Eindruck hat, es zu verstehen. Die Handlung galoppiert ja davon wie ein wildgewordener Gaul, dem man dann als Zuschauer den Film über hinterher rennt.
Wie bist Du vorgegangen, um dieses unglaubliche Tempo hinzubekommen?
Vincent Assmann: Das resultiert aus einer Testvorführung. Seit RENN, WENN DU KANNST sind Dietrich und ich große Freunde von Testvorführungen, und wenn wir einen Rohschnitt soweit haben, laden wir ein Dutzend Freunde ein, stellen einen Kasten Bier hin und schmeißen den Beamer an. Und da merkte man schon beim gemeinsamen Schauen, dass bei diesem Film das normale Komödien-Tempo irgendwie nicht das richtige ist. Also nicht wie Billy Wilder es bei SOME LIKE IT HOT vormacht und Jack Lemmon nach jeder Pointe ein bisschen mit Maracas rasseln lässt, so dass die Zuschauer einen Moment Pause haben, um den Witz zu begreifen und zu lachen, ohne den nächsten zu verpassen. Stattdessen wollten wir, dass der Film eher etwas Manisches bekommt. Lieber ein irrwitziges Tempo und dafür in Kauf nehmen, dass nicht jeder Zuschauer jeden Gag mitbekommt. Also haben wir alle diese kleinen Pausen und Nachklang-Momente eliminiert.
Welche Schwierigkeiten bringt es im Schnitt mit sich, dass der Film mit professionellen Schauspielern und Laien gleichermaßen besetzt ist?
Vincent Assmann: Die Herausforderung ist natürlich, die Laien möglichst genauso gut dastehen zu lassen wie die Profis, so dass man gar nicht merkt, wer zu welchem Lager gehört. Das bedeutet, sich mit dem Schnitt ganz konsequent nach der Performance dieser Laien zu richten und die Szenen so zu schneiden, dass sie gut rüberkommen. Viele der Laien im Film sind ja Musiker und somit auch Performer und ihren Schauspielkollegen durchaus gewachsen. Da ging es dann in den gemeinsamen Szenen mit professionellen Schauspielern eher darum, die auf die gleiche Frequenz zu bringen. Dietrich Kuhlbrodt hat seine Szene mit Benno Fürmann im Krankenhaus zum Beispiel auf die unterschiedlichsten Weisen gespielt, immer voller Inbrunst und sehr witzig, aber nicht bei jedem Take hatte man den Eindruck, dass er sich gerade auf dem gleichen Planeten wie Benno Fürmanns Figur aufhält.
Habt Ihr im Schnitt daran geschraubt, ein irgendwie geartetes politisches Gleichgewicht zu schaffen, um sich keinen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen?
Vincent Assmann: Ich glaube, über solche Dinge haben wir uns überhaupt keine Sorgen gemacht. Das Drehbuch war ja schon als Rundumschlag angelegt und haut ja auch sehr gewissenhaft auf jeden Winkel des politischen Spektrums. Insofern war auch klar, dass es aus jedem dieser Winkel Vorwürfe geben würde. Wir haben eher daran geschraubt, im Chaos von Meinungen und Gesinnungen die Figur von Liv Lisa Fries möglichst menschlich und normal erscheinen zu lassen, damit man als Zuschauer so etwas wie einen Kompass hat. Und es macht natürlich Spaß, jedes Gefühl für Gleichgewicht und Skepsis über Bord zu werfen und in einer Szene wie der Traumsequenz von Benno Fürmanns Figur seine abstruse Rede mit Hilfe sämtlicher filmischer Mittel möglichst überzeugend und mitreißend erscheinen zu lassen.
Es gibt Momente großen Bruchs im Film (z.B. das Erschießen der Hundebesitzerin aus dem Nichts heraus) – wie wichtig waren Euch solche Momente?
Vincent Assmann: Diese Momente waren uns tatsächlich sehr wichtig. „Das Lachen muss im Hals stecken bleiben“ ist natürlich eine abgedroschene Floskel, über die sich der Film später auch selbst noch lustig macht, aber es war auch klar, dass wir Momente brauchen, die irritieren und weh tun und daran erinnern, wie gefährlich die vermeintlichen Witzfiguren auch sind. Der erste solche Moment ist das Erschießen der Hundebesitzerin, und in den ersten Schnittversionen war diese Szene auch noch eher heiter-turbulent. Die Frau schreit „Wuschel, Wuschel!“, Kalle erschießt sie – das kann auch wie ein Gag daherkommen, Slapstick eben. Also ist die Frage: Wie zieht man hier die Komik raus? Wie plötzlich muss das passieren, damit der Zuschauer erschrickt? Zeigt man die Frau beim Erschossenwerden oder danach oder gar nicht, wann kommt eine Pause und wie lange? An diesen Details haben wir immer wieder gefeilt, gerade auch, weil es das erste Mal im Film ist, dass er so das Register wechselt. Später wird das dann wieder aufgegriffen in einer Szene, in der ein Späti überfallen wird. Auch da ging es darum, den Moment möglichst unangenehm, bedrohlich und unlustig erscheinen zu lassen. Eigentlich ungewöhnliche Ziele beim Schneiden einer Komödie.
Interview: Oliver Baumgarten